„Ich lehre an der „Université Libre des Pays des Grands Lacs“, also der „Universität des Landes der Großen Seen“. Mit den „Großen Seen“ sind diejenigen gemeint, deren berühmtester Vertreter der Viktoria-See ist. Aber auch der Kivu-See gehört dazu. Denn auch er hat eine stattliche Größe. Seine Fläche macht fast das Fünffache derjenigen des Bodensees aus. Am Ufer des Kivu-Sees fühlt man sich fast schon wie an der Küste eines Meeres. Am Ufer dieses Sees liegt die Stadt Goma, eine Millionenstadt in der Demokratischen Republik Kongo, in der diese Universität angesiedelt ist.

Außerdem unterstütze ich die orthopädisch-unfallchirurgische Abteilung der zugehörigen Universitätsklinik, namens Bethesda-Krankenhaus. Beide Einrichtungen befinden sich in der Trägerschaft der Kirche „Communauté Baptiste au Centre de l’Afrique“. Ich bringe Instrumente und Implantate dorthin und führe die entsprechenden Operationen zusammen mit den dort angestellten Kollegen durch. Es gibt Fachärzte in dieser Klinik, so daß es sich um eine Einführung von Behandlungen handelt, welche den Kollegen dauerhaft zur Verfügung stehen.“

Dr. med. Andreas Schreiner

Erfahrungen aus meinem Engagement in der Demokratischen Republik Kongo in Goma

Der Campus der Université Libre des Pays des Grands Lacs
Präsentation von Behandlungsfällen im Bethesda-Krankenhaus für die Studierenden
Unterricht ist mühsam, weil die Studierenden aufmerksam, aber auch sehr schüchtern sind, so daß keine rechte Diskussion zustande kommt
Besonders wissbegierige Studentinnen
Abschluss eines akademischen Jahres mit einer großen Feier für die Absolventen der einzelnen Fakultäten, wie z.B. Rechtswissenschaft, Theologie, angewandte Technologie usw. In der Medizin gibt es noch keine Studierenden, die den Studiengang abschließen.
Der Rektor überreicht persönlich die Diplome

Impulse für die Zukunft: Gastprofessur an der Université Libre des Pays des Grands Lacs

Beweggrund für die Zusammenarbeit mit dieser Universität war mein Wunsch, Partner für meine wissenschaftlichen Ambitionen zu finden. Denn seit geraumer Zeit bin ich nicht zufrieden mit den verbreiteten Vorstellungen über das Wesen der orthopädischen Krankheiten. An europäischen Universitäten tut man sich sehr schwer, Erkenntnisse über das Wesen der orthopädischen Krankheiten zu erzielen. Deshalb bin ich 2015 auf die Idee gekommen, mit einer Universität in der Region Kontakt aufzunehmen, in der ich 1995 schon an einem Orthopädie-Projekt der Christoffel Blindenmission teilgenommen habe. Dabei handelt es sich genau um diejenige Region im Ost-Kongo, die jetzt wieder in die Schlagzeilen geraten ist, weil der Krieg neue Ausmaße angenommen hat, der schon seit 30 Jahren vor sich geht.

Seither versuche ich, den Lehrenden und Studierenden zu vermitteln, das sie selbst es sind, die wissenschaftliche Erkenntnis erzielen und der Welt neue Gedanken vermitteln können und nicht auf die Übernahme europäischen Wissens angewiesen sind. Das gestaltet sich aber äußerst schwierig. Denn die meisten afrikanischen Kollegen leben in dem Bewußtsein, daß ihnen Europa überlegen ist und das größte Glück darin liegt, Europa nahe kommen zu können. Es ist also noch ein weiter Weg bis zu einer eigenständigen wissenschaftlichen Anstrengung der Kollegen. Ich gebe aber nicht auf und versuche, Themen vorzuschlagen und Forschungsprojekte in Gang zu setzen. Im Augenblick konzentriert sich meine Arbeit an der Universität auf die Lehre. Diese besteht unter anderem darin, Behandlungen im Bethesda-Krankenhaus mit vielen Photos zu dokumentieren und mit Hilfe dieser konkreten Falldarstellungen grundlegendes Wissen zu vermitteln.

Der Strassenverkehr ist ohne Regeln und Ordnung. Daraus entsteht eine sehr große Zahl von Unfällen.
Die Strassen der Stadt teilen sich wild durcheinander Fußgänger, Tschugudu-Fahrer, Schubkarren-Schieber, Fahrradfahrer, PKWs, Kleinbusse und LKWs.
Motorradfahrer und vor allem Motorradtaxis mit ihren Fahrgästen machen den größten Teil der Verkehrsteilnehmer aus. Diese sind anfällig für sehr schwere Verletzungen.

Kreative Lösungen für komplexe Probleme: Operieren in Afrika zwischen Fachwissen und flexibler Improvisation

Es kommen im Kongo die gleichen Krankheiten vor wie in Europa, aber in stärkerer Ausprägung. Zum Beispiel ist die Krankheit der sogenannten Hüftarthrose oft soweit fortgeschritten und das Leiden daran so stark, wie wir es in Europa kaum erleben. Deshalb darf der Anspruch nicht sein, so viel Beschwerdeminderung herzustellen, wie wir es bei uns erwarten. Dennoch kann man mit dem künstlichen Hüftgelenk eine deutliche Erleichterung erzielen. Deshalb bin ich glücklich darüber, daß ich diese Behandlung dort einführen konnte.

Es hat aber einige Zeit gebraucht, um das künstliche Gelenk einzuführen. Deshalb steht diese Behandlungsstrategie erst in jüngerer Vergangenheit zur Verfügung. Davor mußten andere Behandlungen zur Anwendung kommen. Das stellte eine Schwierigkeit dar, bot aber auch eine Chance. Denn ich war nicht überzeugt, daß das künstliche Gelenk die einzige Lösung darstellt. Auf diese Weise war es gerechtfertigt, andere Operationen zum Einsatz bringen und daraus zu lernen. Z.B. Weichteileingriffe oder Skeletteingriffe ohne Implantat.

Schließlich mußte ich aber einsehen, daß man mit diesen Operationen schon Fortschritte erzielen kann, daß aber dort, wo es angebracht ist, das künstliche Gelenk doch die wirksamste Behandlung ist. Das wiederum trägt zu meinem grundlegenden Wissen über sogenannte Arthrose bei.

In der Unfallchirurgie sind die Kollegen und ich oft mit sehr komplexen Problemstellungen konfrontiert. Durch den chaotischen Straßenverkehr oder auch Schusswaffeneinsatz sind die Verletzungen oft sehr schwer. Besondere Herausforderungen sind erfolglos vorbehandelte Verletzungen oder groteske Formveränderung von Gliedmaßen als Unfallfolge. Dank des Materials, das mir von der Tuttlinger Kreisklinik zur Verfügung gestellt wurde und das ich nach Goma transportiert habe, konnten die Optionen für diese Art der Versorgung erweitert werden.

Ich führe die einzelnen Gegenstände der Materialspende einer deutschen Klinik vor

Für das Führungsgremium des Bethesda-Krankenhauses

Ein Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgue, Dr. Elie

Nach einer Schussverletzung ist ein Unterschenkel in Fehlstellung verheilt

Das deformierte Schienbein wird durchtrennt und in korrigierter Stellung mit dem Ilizarov-Fixateur bis zur Heilung stabilisiert

Der Operationssaal ist einfach. Man kann aber dieselben Operationen ausführen, wie in Deutschland

Der Ilizarov-Fixateur am korrigierten Bein

Ein Patient, dessen schwere Verletzung mit Material aus Deutschland versorgt werden konnte, mit seinen Kindern. Sie haben ein lebendes Huhn als Geschenk mitgebracht

Mehrstündige Operation am instabilen Oberschenkel eines Mannes der schon mehrfach voroperiert worden ist

Die ersten Schritte nach der Operation sind noch mühsam

Sprechstunde nach einem Jahr mit dem Test: „Squat and Smile“. Wer in die Hocke gehen und dabei lächeln kann, ist geheilt.

Von der Herausforderung zur Heilung: Kinderorthopädische Beispiele aus Goma

In Europa ist die Kinderorthopädie ein Spezialgebiet innerhalb der Orthopädie. Das ist bemerkenswert. Denn die heutige Orthopädie hat sich aus der Beschäftigung mit den Kindern entwickelt, deren Bewegungsapparat krank ist. Schon im Begriff „Orthopädie“ drückt sich dieser Ursprung aus. „Ortho“ bedeutet im Altgriechischen so etwas wie „richtig“, „pais“ ist das altgriechische Wort für „Kind“. In der Fachgebietsbezeichnung „Pädiatrie“, der „Kinderheilkunde“ bedeutet, findet sich derselbe Wortstamm. Die ersten Orthopäden haben sich also darum bemüht, fehlgebildete Kinder „richtig“ zu machen. So kann man sich vorstellen, daß es in den Anfängen der Orthopädie um Verkrümmungen der Wirbelsäule ging, der sogenannten Skoliose. Der Franzose Nicolas Andry hat 1741 ein Buch darüber veröffentlicht, in dem er den Begriff Orthopädie prägte. Dieses Buch zeigt auch das berühmte Symbol der Orthopädie, das jeder orthopädische Berufsverband der Welt in seinem Wappen trägt, nämlich das gekrümmte Bäumchen, das mit Hilfe einer Stütze in die richtige Form gebracht werden soll.

Wie kann der Ursprung und die Grundlage eines Fachgebietes zum Spezialgebiet innerhalb dieses Fachgebietes werden? Der Grund hierfür liegt darin, daß in Europa der Anteil der Kinder an der Bevölkerung so gering geworden ist, daß die überwältigende Mehrheit der Personen, die einer orthopädischen Behandlung bedürfen, aus Erwachsenen und vielfach älteren Menschen besteht.

Deshalb ist es eher zur Besonderheit geworden, als Orthopäde mit ernsten Krankheiten von Kindern zu tun zu haben. So sind orthopädische Zentren entstanden, die ausschließlich Kinder behandeln.

In Afrika ist das anders. Dort sind sieben, acht, oder auch zehn Kinder in einer Familie keine Seltenheit. Einer der Gründe dafür, den ich selbst wahrnehmen kann, besteht darin, daß der gesellschaftliche Status einer Frau mit der Zahl ihrer Kinder steigt.

So kommt es, daß in einer orthopädischen Sprechstunde der Anteil der Kinder jeden Alters hoch ist. Dort gibt es auch keine Zentren, welche die Kompetenz für sich beanspruchen. Dort bin ich es, der ein Zentrum aufbaut. In Europa muß man in solchen Zentren arbeiten, um kinderorthopädische Problemstellungen kennenzulernen. Das habe ich getan. In Goma lerne ich in dem Zentrum weiter, das ich selbst immer weiter ausbaue.

Ich empfinde als sehr wichtig, sich mit der sogenannten Kinderorthopädie zu beschäftigen. Denn sie ist die eigentliche Orthopädie. Das bedeutet, daß die Kenntnis der kinderorthopädischen Krankheiten ungemein das Verständnis der Krankheiten des Erwachsenen erhöht. Es ist hilfreich, das gesamte Fachgebiet zu überblicken, um seine einzelnen Bestandteile richtig zu verstehen. Das ist der Grund, aus dem das Spezialistentum eher schädlich für die Gesamtleistung des Fachgebietes ist.

5jähriger Junge, Beginn der operativen Wachstumslenkung 2017

Operation bei diesem Jungen zur zeitweisen Blockierung der Wachstumsfuge

Klammern, welche die Wachstumsfuge übergreifen

Derselbe Junge - Verlauf nach einem Jahr, 2018

Derselbe Junge - Verlauf nach zwei Jahren, 2019

Derselbe Junge - Verlauf nach vier Jahren, 2021

5jähriges Mädchen, das durch eine Infektion einen der beiden Unterarmknochen verloren hat

Dasselbe Mädchen unmittelbar nach der korrigierenden Operation

Dasselbe Mädchen wenige Wochen nach der Operation

5jähriges Mädchen, dessen rechtes Bein zu lang und zudem krumm ist. 2018 Beginn der operativen Wachstumslenkung.

Dasselbe Mädchen bei der ersten Operation

Dasselbe Mädchen 2021

Dasselbe Mädchen 2022

Knocheninfektion ist in Afrika sehr häufig bei Kindern jeden Alters

Dasselbe Baby

Als Einzelperson ohne Rückhalt einer Organisation stehe ich vor der Herausforderung, die notwendigen Instrumente und Implantate für eine qualitativ hochwertige orthopädische Chirurgie selbst bereitzustellen.

Wenn Sie meine Arbeit unterstützen und dazu beitragen möchten, die genannten Mittel zu beschaffen, zögern Sie bitte nicht, sich mit mir in Verbindung zu setzen. Ob durch günstige Kaufmöglichkeiten oder Sachspenden in Form von medizinischen Instrumenten und Materialien – Ihre Unterstützung ist wertvoll und fließt direkt in die Versorgung der Patienten.